Instagram-Seite der SZ

2022-06-10 17:36:00 By : Mr. Ysino office abc

"Hang the rapist", hängt den Vergewaltiger, fordern diese Demonstrantinnen und Demonstranten 2013 in Mumbai.

2012 vergewaltigten sechs Männer eine 23-jährige Physiotherapeutin. Sie starb an den Folgen, und der Fall wühlte ganz Indien auf. Jetzt sollen die Männer gehängt werden. Was wird das ändern?

Asha Devi sitzt aufrecht vor der Kamera des indischen Senders NDTV, das Haar streng nach hinten gebunden, einen grau karierten Schal um die Schultern geworfen. Sie wird gleich sprechen, die Nation erwartet ein paar Worte von ihr. Aber man kann auch sehen, wie schwer es immer noch für sie ist, für sie, die eine Tochter verloren hat.

"Ich habe sieben Jahre lang gekämpft", sagte sie am Abend des 8. Januar in Delhi. "Ich habe sieben Jahre lang Blut geweint." Sie sehnt sich nach Gerechtigkeit, aber wann das Urteil gegen die Mörder ihrer Tochter vollstreckt wird, weiß sie auch jetzt noch nicht.

Im Dezember 2012 verloren Asha Devi und Badri Singh ihre Tochter Jyoti. Der Fall der 23-jährigen Physiotherapeutin hatte das Land damals aufgewühlt wie kaum ein anderes Gewaltverbrechen. Die Tochter war bei einer nächtlichen Fahrt am 16. Dezember in einem Bus von sechs Männern vergewaltigt und stundenlang auf schlimmste Weise gefoltert worden. Sie kämpfte danach noch um ihr Leben, doch die Ärzte konnten sie nicht retten. Sie starb am Morgen des 23. Dezember. Weil es indisches Recht verbietet, die Namen von Vergewaltigungsopfern öffentlich zu nennen, gaben die Medien der Frau den Namen Nirbhaya. "Die Furchtlose".

Indische Beamte erschießen nach einem Mord vier mutmaßliche Täter. Der Staat hat eine Untersuchung eingeleitet: Er will klären, ob der Einsatz eine Hinrichtung war.   Von Arne Perras

Nach sieben Jahren naht nun die Hinrichtung der Täter, vorgesehen war dafür zunächst der 22. Januar, dann rückte das Datum auf den 1. Februar. Doch Rechtsexperten gehen davon aus, dass es nicht so schnell dazu kommen wird. Die Richter müssen noch über mindestens eine, womöglich zwei Petitionen der Verurteilten entscheiden; es sind dies die allerletzten rechtlichen Schritte, die Anwälte noch für ihre Mandanten nutzen können. Sobald darüber entschieden ist, muss der Staat in der Regel eine Frist von zwei Wochen einhalten, bis eine Hinrichtung vollzogen werden kann.

Am Telefon ist Ranjana Kumari zu erreichen, prominente Frauenrechtlerin in Delhi und Direktorin des Centre for Social Research. Ihre Organisation betreut die Familie des Opfers, Kumari ist der trauernden Mutter in all den Jahren recht nahegekommen. Und sie erlebt jeden Tag, wie schwierig es ist, wenn sich ein Verfahren so lange hinzieht. "Diese Familie braucht sehr dringend einen Abschluss", sagt sie, sonst werde es für sie ganz schwer, wieder in ihr Leben zu finden. "Die Frustration ist enorm", die Mutter breche immer wieder zusammen.

Kurz bevor die Justiz einen ersten Termin zur Hinrichtung angesetzt hatte, war es im Gerichtssaal zu einer unerwarteten Begegnung gekommen. Asha Devi, Mutter des Opfers, sah plötzlich eine andere Mutter auf sich zukommen: die des Täters Mukesh Singh.

Die Frau flehte und bat um das Leben ihres Sohnes, die Mutter Nirbhayas möge ihm verzeihen. Aber Asha Devi erwiderte nur: "Wie soll ich vergessen, was meiner Tochter geschehen ist?" Und etwas später sagte sie vor der Kamera von NDTV: "Es hat mich nicht mehr getroffen, dass jemand um Gnade bat. Ich habe sieben Jahre geweint und nun bin ich wie ein Stein. Ich fühle nichts."

Der Vater des Opfers, Badri Singh, ersehnt eine baldige Bestrafung der Täter, doch ob sie ihm helfen wird, wieder in sein Leben zu finden? Er weiß es nicht, denkt aber, dass die Vollstreckung auch eine Botschaft an die ganze Gesellschaft sein wird: "dass niemand mit einem so schlimmen Verbrechen davonkommt".

Die Frauenrechtlerin Ranjana Kumari sagt, dass die allgemeine Stimmung in diesem Fall sehr stark zur Todesstrafe neige. Auch gab es großen Zorn, als der jüngste der Verdächtigen als 17-Jähriger nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde und schon nach drei Jahren aus einer Besserungsanstalt freikam. Angeblich lebt er nun unter neuem Namen im Süden Indiens, wo er eine Ausbildung als Koch durchlaufen haben soll.

Das Gesetz wurde inzwischen geändert, nun gilt das Recht der Erwachsenen bei schwerer Gewalt schon ab 16. Es gab auch noch einen sechsten mutmaßlichen Täter, doch der starb während des Prozesses im Gefängnis, die Untersuchungen ergaben, dass er sich selbst getötet haben soll.

So sehr die Gesellschaft darauf drängt, dass die vier verbliebenen und verurteilten Täter an den Galgen kommen - Aktivistin Kumari glaubt nicht, dass die Todesstrafe abschreckende Wirkung entfaltet. "Wenn jetzt vier Männer gehängt werden, wird das die Zahl der Vergewaltigungen nicht mindern", sagt sie.

Hat Indien aus dem Fall, der sieben Jahre zurückliegt, dennoch gelernt? Kumari zeichnet ein eher düsteres Bild, sie können nicht erkennen, dass sich sehr viel zum Besseren verändert hätte. Für die Polizei sei Gewalt gegen Frauen weiterhin keine Priorität. "Und die Justiz lässt unsere Frauen noch immer im Stich." Das zeige schon der riesige Berg von etwa 117 000 laufenden Verfahren um Fälle sexueller Gewalt, die der Justizapparat kaum bewältigen kann. "Diese Verfahren laufen neun, zehn oder zwölf Jahre." Für Opfer und Angehörige bedeutet das lange Qualen.

Dass die Polizei in Hyderabad vor wenigen Wochen mehrere mutmaßliche Vergewaltiger einfach erschossen hat, nur um den öffentlichen Zorn zu besänftigen, sei auch nicht der richtige Weg. "Wir sehen keinen politischen Willen, Frauen zu schützen", sagt Kumari. "Und wir müssten viel stärker bei der Erziehung ansetzen." Die Kräfte der Beharrung in Indiens patriarchalischer Gesellschaft bleiben stark. "Das zeigt sich in einem männlichen Anspruch, mit Frauenkörpern machen zu können, was man will."

Nur eines sieht Kumari als deutlichen Fortschritt seit den Qualen Nirbhayas: Das Stigma verblasst, Frauen wagen es, ihr Schweigen zu brechen, das Bewusstsein für Vergewaltigungen und Verbrechen an Frauen sei generell auch in Indien gewachsen. Es kommen mehr Verbrechen zur Anzeige, es gibt breitere Proteste.

Trotzdem geht die Gewalt weiter. "Wir kümmern uns gerade um einen neuen Fall in Nagpur", sagt Kumari. Ein 19-jähriges Mädchen, ein Verdächtiger. Und wieder ein Eisenrohr. "Das erinnert sehr an Nirbhaya." Aber die junge Frau lebt.

Etwas offener, gelassener, gewissenhafter: Fast alle Menschen wünschen sich, ihr Selbst beeinflussen zu können. Welche Lebensereignisse den Charakter am stärksten prägen - und wie stark sich Persönlichkeit tatsächlich verändern lässt.

Lesen Sie mehr zum Thema

In anspruchsvollen Berufsfeldern im Stellenmarkt der SZ.

Sie möchten die digitalen Produkte der SZ mit uns weiterentwickeln? Bewerben Sie sich jetzt! Jobs bei der SZ Digitale Medien