Ohne sie kein Nationalpark Donau-Auen, keine Sommerabende bei der Dechantlacke, keine Radtouren auf dem Damm nach Orth oder noch weiter durch die Aulandschaften entlang der Donau von Wien bis nach Bratislava. Jedenfalls nicht so, wie viele es kennen: Im Hof eines alten Bauernhauses in Stopfenreuth, am linken Donauufer gegenüber von Hainburg, steht Annemarie Höferle, 84 Jahre alt, eine der Retterinnen der Donau-Auen, und blinzelt in die Frühlingssonne. Die Winterjacke über den Arm geschlungen, ist sie wieder bereit, aufzubrechen. "Die Schneeglöckchen sind da, die Krokusse, die Primeln. Die Meisen! Die Amseln singen, der Specht klopft. Es gibt so viel, für das es sich zu kämpfen lohnt!", sagt sie.
Und kämpfen tut sie. Erst im Oktober letzten Jahres war sie dabei, als die Aktivisten von Extinction Rebellion und Fridays for Future eine Aktionswoche ausriefen und sich unter anderem an Eisenrohre ketteten, um zentrale Plätze in Wien zu blockieren. Gemeinsam mit den anderen Aktivisten stand sie am nächsten Morgen auf dem Rathausplatz in Wien. "Wir wollten dem Bürgermeister Ludwig zeigen, wie Demokratie geht. Es war wirklich lustig, von zwei bis 86 Jahren waren alle dabei."
Wenn Annemarie Höferle auf die Donau blickt, Richtung Hainburg, dann sieht sie auch das, was nicht mehr da ist. Dort liegen die Hundsheimer Berge. Teile des Hexenbergs und des Pfaffenbergs sind durch den Bergbau verschwunden und mit ihnen Teile des römischen Erbes, etwa der Jupiter-Tempel auf dem Pfaffenberg. Annemarie Höferle erinnert sich, noch auf den großen Steinplatten der alten römischen Straße gegangen zu sein.
Die Donau ist an dieser Stelle ein Übergang vom Wiener Becken in die kleinen Karpaten. "Der Steinbruch war einmal winzig klein. Manchmal kann man sich eigentlich nur ärgern. Schaue ich rüber nach Hainburg, habe ich den Steinbruch, schaue ich da rüber, habe ich die Windräder." Trotzdem: "Die Donau muss man fließen sehen", meint sie. "Dann kann man besser verstehen, warum wir sie retten wollten."
Die Kämpfe des vergangenen Jahres waren für die Umweltbewegungen erfolgreich, zumindest was das Klimavolksbegehren in Österreich betrifft. 400.000 Menschen haben es unterzeichnet. Im Verfassungsrecht soll nun die Einrichtung eines wissenschaftlichen Klimabeirats verankert werden. Bürgerinnen und Bürger werden ebenfalls einen eigenen Klimarat bekommen: Dieser "Klimarat der Bürger" soll bis Mitte 2021 eingerichtet werden. Außerdem wird geprüft, ob es ein Grundrecht auf Klimaschutz in der österreichischen Verfassung geben kann.
Für die "jungen Leute", die für den Klimaschutz die Straßen blockiert hatten, hat Annemarie Höferle große Bewunderung. Ohne Widerständigkeit geht es nicht, sagt sie, die eigentlich als "Genießerin" zur Kämpferin wurde. Bürgerinnen und Bürger müssen sich Gehör verschaffen, wenn es um Umwelt und Klima geht. "Die haben die Eisenrohre wie Bienenwaben zusammengeschweißt und sich angekettet, damit sie die Polizei nicht wegtragen kann. Die Polizei hat um vier in der Früh den Einsatzbefehl bekommen, die Blockaden zu räumen. Sie sollten das durchschneiden. Die Polizei hat sich geweigert. Das habe ich großartig gefunden."
1984 verliefen die Kämpfe für den Erhalt der Donau-Auen irgendwann nicht mehr friedlich. Nachdem im Dezember rund 3.000 Aktivisten die Au "besetzt" hatten, indem sie dort zelteten, um die Rodungen für das Kraftwerk Hainburg zu verhindern, schickte die Regierung am 19. Dezember 1984 Polizeieinheiten mit Knüppeln und mit Stahlhelmen.
Die etwa 800 Polizisten kesselten vier Hektar Auwald ein, 19 Menschen wurden bei dem Einsatz verletzt (Günter Nenning spricht in einem Kommentar am 22. Dezember desselben Jahres in einer Sonderausgabe des Nachrichtenmagazins "Profil" allerdings von 50). Es wurde versucht, die internationale Presse und auch heimische Medien wie den ORF an der Dokumentation des Geschehens und an Dreharbeiten zu hindern. Das Vorgehen erwies sich als unklug: Noch am selben Abend demonstrierten Zehntausende in Wien gegen das Vorgehen der Polizei und gegen das Kraftwerk.
Anders als der Widerstand gegen eine Staustufe bei Rossatz gegenüber von Dürnstein in der Wachau, die seit Anfang der 1970er Jahre geplant war und 1983 schließlich aus dem Regierungsprogramm gestrichen wurde, waren die Proteste gegen das Kraftwerk Hainburg zuerst wenig beachtet worden.
Auch noch nach der gewaltsamen Räumung und den breiten Protesten in Wien wurden die Au-Kämpfer teilweise diffamiert. So schrieb der damalige Chefredakteur des "Profil", Peter Michael Lingens: "Bisher hatte ich immer gehofft, wir könnten die Konfrontation zwischen Wachstumsfetischisten und Grünfaschisten auf österreichische schlampige Weise vermeiden. Jetzt hat es den Anschein, als seien wir dazu unfähiger als selbst die Deutschen: Wir sind sicher das erste und einzige Land der Welt, wo bereits die Errichtung eines Wasserkraftwerkes einen größeren Polizeieinsatz erfordert als anderswo die Aufstellung von Atomraketen."
Das Nachrichtenmagazin ist dabei selbst gespalten. Die Konflikte zwischen den Umweltschützern und den Donaukraftwerken (DoKW, heute Verbund AG) werden als Generationskonflikt gelesen, als eine Weichenstellung für die österreichische Gesellschaft. Die "Hainburg-Story", so ein Beitrag von Josef Votzi in derselben Ausgabe des "Profil", sei "die Geschichte des Konflikts zwischen der Wiederaufbaumentalität der Alten und der Lebens- und Zukunftsangst der Jungen. Und der Hilflosigkeit der etablierten Politik, damit schöpferisch umzugehen."
Doch Bundeskanzler Fred Sinowatz musste nachgeben. Am 23. Dezember verkündete er den sogenannten "Weihnachtsfrieden".
"Das war eine Bewährungsprobe für Österreich" sagt Annemarie Höferle heute. "Und das ist wirklich gut geglückt, auch wenn es knapp war."
Vor fast 37 Jahren war ihr kleines Haus, das heißt die ehemalige Selchkammer, der Kuhstall und der Hof, das logistische Zentrum des Widerstands gegen das Kraftwerk. Annemarie Höferle war erst 1980 mit ihrem Mann Bruno in das Bauernhaus gezogen. "Wir wollten weg aus Wien, die Kinder waren mit dem Studium fertig, wir wollten etwas mit Garten." Annemarie Höferle war damals 47 Jahre alt und das Haus wurde ein Renovierungsprojekt für das Paar. Sie rissen einige Wände ein und bauten einen aus dem Schutt geretteten Kachelofen aus dem 18. Jahrhundert im Wohnzimmer wieder auf.
Als im Dezember 1984 die Besetzung der Au begann, hatten die beiden gerade den Fußboden frisch verlegt, zum ersten Mal schien alles so gut wie fertig. Nur: Die DoKW wollte zu dem Zeitpunkt mit den Rodungen beginnen. "Sie waren in Greifenstein schon früher fertig geworden als geplant. Sie wollten einfach die Maschinen schon herunterbringen."
Nach einem Sternmarsch am 8. Dezember und nach dem Bühnen-Sturm der Umweltaktivisten von Robin Hood bei der Liveübertragung von "Wetten, dass ?" eine Woche später – Fred Sinowatz war Wettpate – nahm der Widerstand an Fahrt auf. Schon im November waren die ersten Besetzer in den Auwald gezogen. Die Au wurde schließlich zum Sperrgebiet erklärt, es sollte gerodet werden. Der Widerstand brauchte ein Zentrum.
"Es war eines der schönsten Fleckerln in der Au", sagt Annemarie Höferle. "Es war für mich so deutlich, dass das alles Unrecht war." Während Günter Nenning erklärt hatte, für die Tiere zu kämpfen – sein Auftritt als Hirsch bei der Pressekonferenz für das Konrad-Lorenz-Volksbegehren im Mai 1984 verlieh dem Anliegen einigen Nachdruck und der Presse gute Bilder –, ging es Annemarie Höferle um die Zukunft: "Ich wollte, dass die Generationen, die nach uns kommen, diese wunderschöne Landschaft kennen."
Bruno und Annemarie Höferle vermieteten im Dezember 1984 den ehemaligen Kuhstall an den WWF, für symbolische zweihundert Schilling, inklusive Telefon. Und das Telefon war wichtig. Allen Beteiligten war klar, dass die Au abgeriegelt werden würde, dass es schwierig sein würde, die Besetzer und Besetzerinnen, die in den Zeltlagern Tag und Nacht ausharrten, mit Lebensmitteln zu versorgen. "Eigentlich war alles offiziell genehmigt", sagt sie. "Denn der Günter Schobesberger hatte eine Demonstration angemeldet. Unbefristet. Es war also nicht rechtswidrig, wie immer behauptet wurde."
Teile der Stopfenreuther Einwohner waren auf der Seite der Besetzer und versorgten sie; die Feuerwehr verzierte den aus dem frühen 18. Jahrhundert stammenden Pranger im Ort mit einem Transparent: "Sie sagten, der ist für Rechtsbrecher reserviert." Gemeint war in dem Fall Ernest Brezovsky, der damalige Naturschutzlandesrat Niederösterreichs. Er hatte dem Bau des Kraftwerks zugestimmt und dabei das Landschaftsschutzgesetz zweifelhaft ausgelegt. Selbst Lingens schrieb in seinem Leitartikel: "Es besteht für mich wenig Zweifel, daß das Gesetz gebeugt wurde. Heißt es doch darin unter anderem höchst einfach und klar, daß nichts unternommen werden darf, was das Landschaftsbild dauernd und maßgeblich beeinträchtigt. Zehn Meter hohe Staumauern beeinträchtigen immer maßgeblich."
Unter Berufung auf das Landschaftsschutzgesetz hatte das Land Niederösterreich in den 1970er Jahren bereits den Bau von Badeflößen und die Aufstockung von Fischerhütten untersagt. Die Juristen des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens widersprachen der Auslegung von Brezovsky in insgesamt 38 Punkten, obwohl auf einer juristischen Ebene der Kampf nicht zu gewinnen schien: Der Kraftwerksbau war rechtlich als "bevorzugter Wasserbau" definiert, Anrainer konnten maximal mit Entschädigungen rechnen.
Im Hof der Höferles stapelten sich fortan die Strohballen, in der ehemaligen Selchkammer wurde gekocht und das Essen in Milchkannen in die verschiedenen Zeltlager getragen. Auch ein Bergsteigerseil der Eheleute kam zum Einsatz: Die Helfer ließen an diesem Seil Wasser zu einem der Lager unter der Donaubrücke hinunter – sonst wären die Besetzer ohne Trinkwasser gewesen. Unter den Besetzern sind der Biologe Karl Lorenz, der auch das Volksbegehren initiierte, der Künstler Friedensreich Hundertwasser – er hatte ein Jahr zuvor den Grundstein für das Hundertwasserhaus in Wien gelegt – und der Sänger und Maler Arik Brauer.
Zurückblickend wird Annemarie Höferle immer wieder nachdenklich: "Es war schon ein bisschen sehr schlimm", formuliert sie vorsichtig. Sie erinnert daran, dass nicht nur kein Wasser in die Au gebracht werden sollte, sondern auch keine Rettungsfahrzeuge kommen durften. Briefe an den Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger fruchteten nichts: "Er hat nicht einmal geantwortet. Die Gewerkschaft hat auch sehr gehetzt." Von Fußtritten verletzte Menschen, Menschen mit Knochenbrüchen und Prellungen durch Schlagstöcke wurden ins Krankenhaus eingeliefert, ins Spital nach Hainburg. Dennoch blieb der Protest zumindest auf der Seite der Umweltschützer gewaltfrei. "Ich habe die jungen Leute bewundert. Das muss man mal zusammenbringen, sich nicht wehren. Ich weiß nicht, ob ich das so geschafft hätte."
Begradigung und Verlegung der Donau
Die Pläne für den Kraftwerksbau waren seit den frühen 1980er Jahren bekannt. "Wir haben zuerst Unterschriften gegen den Bau gesammelt, in meiner Firma haben auch sehr viele unterschrieben. Und das war das Eigenartige: Die waren dann später die Gehässigsten." Annemarie Höferle arbeitete bei einem großen österreichischen Bauunternehmen und bekam schließlich den ganzen Druck der gesellschaftlichen Zerreißprobe zu spüren: Sie sei damals fast gekündigt worden, Freundschaften drohten zu zerbrechen, erzählt sie. "Das Gute war aber, dass wir nachher, als alles vorbei war, wieder miteinander reden konnten. Die Leute hatten einfach Angst um ihre Jobs, und ich verurteile niemanden. Ich kann das verstehen."
Annemarie Höferle wusste durch ihre Arbeit schon früh von Plänen der DoKW Bescheid: Sie besuchte einen Vortrag der Kraftwerksbauer im Ingenieur-Verein. Vor Fachpublikum wurde das Ausmaß der Eingriffe in die Aulandschaft benannt: "Die Schlägerungen, die Aushubmasse, allein die Deponieplätze, die man gebraucht hätte." Annemarie Höferle war entsetzt.
Josef Kubilka, Vorstandvorsitzender der DoKW, argumentiert in einem Gastkommentar 1983 in der Tageszeitung "Kurier" mit dem Schutz der Natur beziehungsweise dem Schutz der Quellen in Deutsch-Altenburg: "Zum Schutz der Heilquellen muß das Donaubett einwandfrei abgedichtet und hierzu die Donau vollkommen in das linksufrige Augebiet verlegt werden." Im selben Jahr hatte er laut "Profil" allerdings auch gesagt: "Mengenmäßig ist Hainburg net unbedingt notwendig."
Das Kraftwerk Hainburg wäre das letzte Glied in der Kette der Donaukraftwerke gewesen und hätte unvermeidlich eine der letzten verbliebenen Strecken frei fließender Donau zerstört. Die Donau, die bei Stopfenreuth und Hainburg einen Bogen macht, wäre begradigt worden, Begleitdämme links und rechts des neuen Flussbetts wären erforderlich gewesen: insgesamt 45 Kilometer bis zur Praterbrücke in Wien. Das schilderte 1984 das "Profil". Für rund 350 Megawatt Strom wären 800 Hektar Auwald gerodet worden.
Für Annemarie und Bruno Höfele war die Donau die "große Liebe". "Wir haben jeden zweiten Tag mindestens eine schnelle Runde mit dem Kajak gemacht. Das Wasser ist immer anders. Die Strömung, alles, was die Donau anschwemmt. Es bilden sich Sandbänke und verschwinden wieder. Das ist ununterbrochenes Leben und ständige Veränderung."
Der Kampf um die Donau-Auen sei an die Substanz gegangen, meint sie: "Es war sehr anstrengend." Aufzugeben war aber nie eine Option für sie: "Die Umwelt kostet zwar nichts, aber sie ist unbezahlbar."
Das Konrad-Lorenz-Volksbegehren für das Verbot von Großkraftwerken und für die Errichtung eines Nationalparks bei Hainburg wurde im März 1985 von 353.906 Menschen unterzeichnet. Ernest Brezovsky und die DoKW scheiterten: Am 1. Juli 1986 hob der Verwaltungsgerichtshof den umkämpften Wasserrechtsbescheid auf. Zehn Jahre später entstand der Nationalpark Donau-Auen. Er feiert heuer sein 25-jähriges Bestehen.